Fremdes...

Kämpfe nicht mit dem Tod

Ein Toter hat kein Problem mit dem Tod. Er ist bereits tot – da ist der Tod kein Problem. Als Lebende steht uns der Tod bevor, irgendwo gleich um die Ecke erwartet er uns. Dieser wartende Tod, dieses unentwegte Abwarten, dass er irgendwo in der Nähe steckt und jederzeit eintreten kann, ist das Problem. Also kämpft der Mensch immerzu gegen ihn an und das ganze Leben wird zu einem bloßen Ringen mit dem Tode. Das ganze Leben wird einfach vertan, einfach vertan mit Vorbeugen, mit Verschanzen – um sich den Tod vom Leibe zu halten.
Wir können nicht lebendig sein, weil der Tod da ist. Wir können nicht leben, wir können nicht authentisch leben, weil uns der Tod nicht gestatten wird zu leben. Wie kann einer leben, wenn der Tod droht? Wenn Du doch sterben wirst, wie kannst Du dann friedlich leben? Wie kannst Du selig leben? Dann ist jeder Schritt im Leben nur ein Schritt auf den Tod zu. Dann ist jede Bewegung eine Bewegung in Richtung Tod, dann ist jede Bewegung eine Bewegung Deines Todes auf Dich zu.
Für die Religion ist der Tod das Problem: Was ist da zu tun? Wir tun alles Mögliche: Mit Hilfe von Reichtum, von Wissenschaft, von Hygiene, von Schutzmaßnahmen, von Medizin, von Philosophie, von Theologie treffen wir alle möglichen Vorkehrungen, wie wir todlos werden können. Wir stellen alles Mögliche auf die Beine, aber alles erweist sich als umsonst, vergeblich, absurd. Der Tod kommt doch, und jede Vorkehrung erweist sich als vergeblich. So ist es seit jeher gewesen und so wird es immer sein, denn der Tod kommt in Wirklichkeit nicht erst in der Zukunft, er kommt auch aus der Vergangenheit.
Sobald einer geboren wird, wird in ihm der Tod mit geboren. Der Tod ist nicht erst in der Zukunft – wäre er nur etwas Zukünftiges, könnte man ihm ausweichen –, sondern er ist Teil der Vergangenheit. Er ist nur ein Teil desjenigen Vorgangs, den wir ‚Geburt‘ nennen. Die Geburt ist der Beginn des Todes – oder man kann auch sagen: Der Tod ist nur ein Ende des Geburtsvorganges. Somit ist Dein Geburts-Tag auch Dein Todes-Tag. Der Anfang ist das Ende, weil jeder Anfang sein Ende in sich enthält. In jedem Anfang steckt sein Ende als Saatkorn. Wäre der Tod nur etwas Zukünftiges, dann ließe er sich umgehen. Lässt er sich aber nicht: Er ist ein Stück von Dir, er ist hier und jetzt – einfach in Dir drin, fortschreitend, wachsend.
Der Tod ist nicht ein festgelegter Punkt irgendwo, sondern ein Gewächs in Deinem Innern. Er wächst fortwährend weiter. Wenn Du ihn bekämpfst, wächst er weiter. Wenn Du ihn nährst, wächst er weiter. Wenn Du vor ihm davonläufst, wächst er weiter. Du kannst tun, was Du willst, Du kannst schlafen, kannst entspannen, kannst arbeiten, kannst nachdenken, kannst meditieren – egal, was Du tust, eines ist gewiss: Der Tod wächst unentwegt, immerzu weiter. Er benötigt nicht Deine Hilfe, er benötigt nicht Deine Kooperation. Deine Verteidigungsmaßnahmen sind ihm gleichgültig – er wächst weiter. Warum? Weil er zugleich mit Deiner Geburt auf die Welt gekommen ist, Teil Deiner Geburt ist. Dem Tod kann man also nicht entrinnen, jedenfalls nicht so, wie der Mensch und der menschliche Geist das immer versucht haben. Diese Upanishaden sagen auch nicht, dass man dem Tod entrinnen könne, wohl aber, dass man todlos werden kann. Du kannst etwas erfahren, das unsterblich ist, das nie sterben wird. Aber wie lässt sich das erfahren? Wo soll man danach suchen, und wie es entdecken? Schließlich haben sich alle uns bekannten Anstrengungen einfach als sinnlos, als belanglos erwiesen!
Diese Upanishaden sagen nun: Kämpfe nicht mit dem Tod. Kümmere Dich lieber darum, lerne besser kennen, was Leben heißt. Man muss mitten in die Flamme des Lebens hineingehen. Führe kein abwehrendes, kein negatives Leben. Versuche nicht länger, dem Tod auszuweichen – so etwas ist negativ. Sei positiv und versuche zu erfahren, was das ist – Leben. In Wirklichkeit ist der Tod nicht das Gegenteil des Lebens. Im Wörterbuch vielleicht, aber nicht in der Existenz. Der Tod ist nicht das Gegenteil des Lebens; der Tod ist das Gegenteil der Geburt.
(…)
Wir müssen uns das Leben wie einen Fluss vorstellen: In diesem Fluss gibt es einen Punkt, der ‚Geburt‘ genannt wird und einen Punkt, der ‚Tod‘ genannt wird, aber der Fluss fließt weiter. Der Fluss geht über den Tod hinaus. Der Fluss ging der Geburt voraus. Dieses flussartige Leben muss zutiefst erkannt werden; erst dann können wir das erkennen, was todlos ist. Selbstverständlich muss etwas, das todlos ist, zwangsläufig auch geburtlos sein … aber unsere gesamte Aufmerksamkeit wird in die Irre geleitet. Unser ganzer Fokus ist darauf gerichtet, wie wir dem Tod entgehen können, und nicht, wie wir das Leben erkennen können. Es gilt: gegen den Tod, nicht für das Leben.
Das ist der einzige Haken, und nur deswegen können wir nie das Todlose kennen lernen. Wir machen immerzu weiter damit, hören nie auf damit, nach neuen Methoden, neuen Techniken, neuen Wegen zu suchen, wie wir dem Tod entrinnen können. Und dann kommt der Tod irgendwann – und der Tod kommt bestimmt. Erkenne, was Leben ist.

Jesus hat gesagt: ‚Sucht nach dem Leben, dem Leben in Hülle und Fülle.‘ Gebt Euch nicht zufrieden mit dem, was ihr unter ‚Leben‘ versteht. Sucht mehr, holt mehr heraus, geht tiefer hinein – macht mehr Leben locker! Uns geht es immer nur um weniger Tod, uns geht es nie um mehr Leben; wie gebannt starren wir immerzu auf den Tod!
Es verhält sich folgendermaßen: Wenn alles dunkel ist, kann man zweierlei tun: Entweder kann man anfangen, die Dunkelheit zu bekämpfen und versuchen sie zu zerstören oder man kann anfangen, nach Licht zu suchen – was eine ganz andere Art der Suche ist. Man kann die Dunkelheit direkt bekämpfen, aber dann wird man unterliegen. Und die Dunkelheit wird siegen – nicht weil sie stärker ist als Du, nicht weil Du machtlos gegen sie bist – nein. Die Dunkelheit hat keine Macht, Du bist nicht machtlos; Dunkelheit ist einfach nur eine Abwesenheit von Licht, und gegen eine Abwesenheit kann man nicht kämpfen.
(…)
Ist das Licht weg, tritt Dunkelheit ein. Geht das Licht an, ist die Dunkelheit weg. Suche also nach Licht, suche nach Leben. Kämpfe nicht gegen den Tod, kämpfe nicht gegen die Dunkelheit. Geh nicht negativ vor, geh positiv vor. Und unter ‚positiv‘ verstehe ich: Suche immer nach etwas Anwesendem, suche nie nach etwas Abwesendem – Du wirst es niemals finden.
(…)
Diese Upanishaden besagen: Kämpft nicht gegen den Tod, sonst kämpft ihr gegen das Abwesende; sucht lieber nach etwas Anwesendem, das in Euch ist. Wer ist in Dir vorhanden? – finde es heraus. Was in Dir ist anwesend, das Du ‚Leben‘ nennst? Was ist das in Dir, das Du ‚Leben‘ nennst? Von woher in Dir kommt es? Was ist der Mittelpunkt, die Quelle davon? Schürfe tief in Dir nach und lege die Quelle frei. Dieser Upanishade zufolge liegt die Quelle im Herzen verborgen. Diese Quelle des Lebens ist im Herzen verborgen. Geh in Dein Herz und finde dort die ursprüngliche Quelle.
Hast Du diese Quelle erst einmal kennen gelernt, dann wird es für Dich keinen Tod mehr geben. Dann wird keine Angst mehr da sein, dann wird kein Problem mehr da sein. Hast Du das Leben selber erst einmal kennen gelernt, bist Du unsterblich geworden.

Aus: Osho: Tod – Der Höhepunkt des Lebens

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Du trägst das Heilmittel in Deinem eigenen Herzen

Emotionale Misshandlung von Kindern kann im Erwachsenenalter zu Abhängigkeit, Wut, einem ernsthaft beschädigten Selbstgefühl und zur Unfähigkeit, mit anderen echte Bindungen einzugehen, führen. Aber – selbst wenn es dir passiert ist – es gibt einen Weg hinaus.

von Andrew Vachss

Ich bin Rechtsanwalt mit einem ungewöhnlichen Spezialgebiet. Meine Klienten sind alle Kinder – geschädigte, Schmerzen erleidende Kinder, die sexuell angegriffen, körperlich misshandelt, ausgehungert, ignoriert, verlassen wurden und jede andere lausige Sache erfuhren, die ein Mensch einem anderen antun kann. Menschen, die wissen, was ich tue, fragen immer: Was ist der schlimmste Fall, mit dem sie sich je befasst haben? Wenn Sie in einem Geschäft sind, wo ein Baby, das früh stirbt, das glücklichste Kind in der Familie sein mag, gibt es darauf keine einfache Antwort. Aber ich habe darüber nachgedacht – ich denke jeden Tag darüber nach. Meine Antwort ist, dass von all den vielen Formen von Kindesmisshandlung, emotionale Misshandlung die grausamste und am längsten währende von allen sein mag.
Emotionale Misshandlung ist die systematische Verkleinerung des anderen. Sie kann absichtlich oder unterbewusst (oder beides) sein, aber sie ist immer eine Verhaltensweise, nicht ein einzelner Vorfall. Sie ist darauf angelegt, das Selbstbild eines Kindes auf den Punkt zu reduzieren, wo das Opfer sich des natürlichen Geburtsrechts aller Kinder für unwert erachtet: Liebe und Schutz.
Emotionale Misshandlung kann so vorsätzlich sein wie ein Gewehrschuss: „Du bist fett. Du bist dumm. Du bist hässlich.“
Emotionale Misshandlung kann so blindlings sein wie der Fallout einer Nuklearexplosion. In ehelichen Auseinandersetzungen zum Beispiel werden die Kinder allzu oft zum Schlachtfeld. Ich erinnere mich an einen Jungen, kaum in seinen Teenagerjahren, der abwesend die frischen Narben an seinen Handgelenken rieb. „Es war der einzige Weg, sie alle glücklich zu machen“, sagte er. Seine Mutter und sein Vater waren in einen Scheidungskrieg verstrickt, und jeder verlangte völlige Loyalität und Verbundenheit von dem Kind.
Emotionale Misshandlung kann aktiv sein. Boshaftes Herabsetzen: „Du wirst niemals so erfolgreich sein wie es dein Bruder war.“ Bewusste Demütigung: „Du bist so dumm. Ich schäme mich, dass du mein Sohn bist.“
Sie kann auch passiv sein, die emotionale Entsprechung von Kindesvernachlässigung – eine Unterlassungssünde, wahrlich, aber darum nicht weniger zerstörerisch.
Und es kann eine Kombination von beidem sein, was die negativen Wirkungen geometrisch anwachsen lässt.
Emotionale Misshandlung kann verbal oder im Verhalten, aktiv oder passiv, regelmäßig oder gelegentlich stattfinden. Ungeachtet dessen ist sie oft ebenso schmerzhaft wie ein körperlicher Angriff. Und, mit seltenen Ausnahmen, dauert der Schmerz viel länger an. Die Liebe eines Elternteils ist für ein Kind so wichtig, dass sie ihm vorzuenthalten einen Zustand des „Scheiterns in der Entwicklung“ verursachen kann, ähnlich dem von Kindern, denen man eine angemessene Ernährung verweigert hat.
Selbst der natürliche Trost von Geschwistern wird denjenigen Opfern emotionaler Misshandlung verweigert, die als das „Zielscheiben-Kind“ der Familie ausersehen sind. Die anderen Kinder sind schnell dabei, ihre Eltern zu imitieren. Anstatt die Fähigkeiten zu erlernen, die jedes Kind als ein Erwachsener brauchen wird – Einfühlungsvermögen, Fürsorglichkeit und Beschützen – lernen sie die Boshaftigkeit einer Hackordnung. Und so setzt sich der Kreislauf fort.
Aber ob als absichtliches Ziel oder unschuldiger Zuschauer, das emotional misshandelte Kind kämpft zwangsläufig darum, das Verhalten seiner Misshandler zu „erklären“ – und endet, um sein Überleben kämpfend, in einem Treibsand der Selbstbeschuldigung.
Emotionale Misshandlung ist sowohl die verbreitetste als auch die am wenigsten verstandene Form von Kindesmisshandlung. Über ihre Opfer wird oft hinweggesehen, einfach, weil ihre Wunden nicht sichtbar sind. In einem Zeitalter, in welchem neue Enthüllungen von unaussprechlichen Kindesmisshandlungen tägliche Kost sind, werden Schmerz und Qual jener, die „nur“ emotionale Misshandlung erfahren haben, oft trivialisiert. Wir verstehen und akzeptieren, dass die Opfer von körperlicher und sexueller Misshandlung gleichermaßen Zeit wie eine spezielle Behandlung brauchen, um zu gesunden. Doch wenn es zu emotionaler Misshandlung kommt, glauben wir anscheinend, dass die Opfer „einfach darüber hinwegkommen“, wenn sie Erwachsene werden.
Diese Annahme ist gefährlich falsch. Emotionale Misshandlung entstellt das Herz und schädigt die Seele. Wie Krebs verrichtet sie ihre tödlichste Arbeit im Inneren. Und wie Krebs kann sie, wenn sie unbehandelt bleibt, Metastasen bilden.
Wenn es zur Schädigung kommt, gibt es keinen wirklichen Unterschied zwischen körperlicher, sexueller und emotionaler Misshandlung. Alles, was das eine vom anderen unterscheidet, ist die Wahl der Waffen des Misshandlers. Ich erinnere mich an eine Frau, eine Großmutter, deren Misshandler schon lange gestorben waren, die mir sagte, dass die Zeit ihren Schmerz nicht besiegt hatte. „Es war nicht nur der Inzest“, sagte sie ruhig. „Es war, dass er mich nicht liebte. Wenn er mich geliebt hätte, hätte er mir das nicht antun können.“
Aber emotionale Misshandlung ist einzigartig, weil sie darauf abzielt, das Opfer sich schuldig fühlen zu lassen. Emotionale Misshandlung ist ein wiederholtes und letztlich sich summierendes Verhalten – sehr leicht zu imitieren – und einige Opfer setzen den Kreislauf später mit ihren eigenen Kindern fort. Obwohl die meisten Opfer diese Antwort mutig zurückweisen, ist ihr Leben oft von einer tiefen, durchdringenden Traurigkeit gekennzeichnet, einem ernsthaft beschädigten Selbstbild und einer Unfähigkeit, sich wirklich mit anderen einzulassen und mit ihnen eine Bindung einzugehen.
Emotional misshandelte Kinder wachsen mit einer bedeutsam veränderten Wahrnehmung auf, sodass sie Verhaltensweisen – die eigenen und die anderer – durch einen verzerrenden Filter sehen. Viele emotional misshandelte Kinder verstricken sich in ein lebenslanges Streben nach der Anerkennung anderer (die sie als „Liebe“ übersetzen). So begierig sind sie nach Liebe – und so überzeugt davon, dass sie sie nicht verdienen -, dass sie Hauptkandidaten für Misshandlung in intimen Beziehungen sind.
Das emotional misshandelte Kind kann man im Inneren jeder geschlagenen Frau hören, die darauf besteht: „Es war mein Fehler, wirklich. Ich scheine ihn einfach irgendwie zu provozieren.“
Und das beinahe unausweichliche Scheitern von Erwachsenen-Beziehungen bekräftigt dieses Gefühl von Wertlosigkeit, vernebelt das Verbrechen, das durch das Leben der Opfer nachhallt.
Emotionale Misshandlung bestimmt das Kind dahingehend, Misshandlung im späteren Leben zu erwarten. Emotionale Misshandlung ist eine Zeitbombe, aber ihre Wirkungen sind selten sichtbar, weil die emotional Misshandelten dazu neigen, zu implodieren, die Wut gegen sich selbst zu richten. Und wenn jemand äußerlich in den meisten Lebensbereichen erfolgreich ist, wer schaut nach innen, um die verborgenen Wunden zu sehen?
Mitglieder einer Therapiegruppe mögen in Alter, sozialer Klasse, ethnischer Zugehörigkeit und Beschäftigung weit auseinander liegen, aber alle zeigen irgendeine Form von selbstzerstörerischem Verhalten: Fettleibigkeit, Drogenabhängigkeit, Anorexie, Bulimie, häusliche Gewalt, Kindesmisshandlung, versuchter Selbstmord, Selbstverstümmelung, Depressionen und Wutanfälle. Was sie in Behandlung brachte, waren ihre Symptome. Aber bis sie sich der einen Sache zuwenden, die sie gemeinsam haben – eine Kindheit der emotionalen Misshandlung -, ist eine echte Gesundung unmöglich.
Eines der Ziele jeder Kinder schützenden Bemühung ist es, „den Kreislauf der Misshandlung zu durchbrechen.“ Wir sollten uns nicht täuschen, dass wir den Kampf leicht gewinnen, weil so wenige Opfer von emotionaler Misshandlung selbst Misshandler werden. Einige emotional misshandelte Kinder sind so effektiv darauf programmiert, zu scheitern, dass ein Teil ihrer eigenen Persönlichkeit sich „selbst Eltern verschafft“, indem sie sich selbst herabsetzen und demütigen.
Der Schmerz hört mit dem Erwachsensein nicht auf. Tatsächlich verschlimmert er sich für einige. Ich erinnere mich an eine junge Frau, eine ausgebildete Fachfrau, charmant und freundlich, von allen gemocht, die sie kannten. Sie sagte mir, dass sie nie Kinder haben würde. „Ich hätte immer Angst, so zu handeln wie sie„, sagte sie.
Anders als die meisten Formen von Kindesmisshandlung wird emotionale Misshandlung von denen, die sie praktizieren, selten geleugnet. Tatsächlich verteidigen viele aktiv ihre psychologische Brutalität, indem sie geltend machen, dass eine Kindheit der emotionalen Misshandlung ihren Kindern helfe, „widerstandsfähiger zu werden.“ Es reicht nicht, wenn wir die pervertierte Meinung ablehnen, dass Kinder zu schlagen gute Bürger hervorbrächte – wir müssen auch die Lüge ablehnen, dass emotionale Misshandlung gut für Kinder ist, weil sie sie für ein hartes Leben in einer rauen Welt vorbereite. Ich habe einige Individuen getroffen, die auf diese Art auf ein hartes Leben vorbereitet wurden – ich traf sie, während sie lebenslänglich einsaßen.
Die wichtigste Waffe emotionaler Misshandler ist die absichtliche Auferlegung von Schuld. Sie benutzen Schuld auf dieselbe Weise wie ein Kredithai Geld benutzt: Sie wollen die „Schulden“ nicht getilgt haben, weil sie ganz glücklich von den „Zinsen“ leben.
Weil emotionale Misshandlung in so vielen Formen (und so vielen Verkleidungen) erscheint, ist das Erkennen der Schlüssel für eine wirksame Antwort. Zum Beispiel, wenn Behauptungen von sexueller Kindesmisshandlung an die Oberfläche kommen, ist es eine besonders abscheuliche Form von emotionaler Misshandlung, Druck auf das Opfer auszuüben, die Behauptung zurückzunehmen, indem man sagt, er oder sie „schade der Familie“, indem er oder sie die Wahrheit sagt. Und genau dasselbe gilt, wenn ein Kind gezwungen wird, die Lüge von einem „liebenden“ Elternteil aufrechtzuerhalten.
Emotionale Misshandlung erfordert überhaupt kein körperliches Verhalten. In einem außergewöhnlichen Fall erkannte eine Jury in Florida das tödliche Potential von emotionaler Misshandlung an, indem sie eine Mutter in Verbindung mit dem Selbstmord ihrer siebzehnjährigen Tochter für schuldig befand, die sie gezwungen hatte, als Nackttänzerin zu arbeiten (und von ihrem Verdienst gelebt hatte).
Eine andere, selten verstandene Form von emotionaler Misshandlung macht Opfer für ihre eigene Misshandlung verantwortlich, indem man von ihnen verlangt, dass sie den Täter „verstehen.“ Einem zwölf Jahre alten Mädchen zu sagen, dass sie ihren eigenen Inzest „ermöglicht“ hat, ist emotionale Misshandlung vom abstoßendsten.
Ein besonders schädlicher Mythos ist der, dass Heilung „Vergebung“ für den Misshandler erfordere. Für das Opfer von emotionaler Misshandlung ist die lebensfähigste Form von Hilfe Selbst-Hilfe – und ein Opfer, das von der Notwendigkeit, dem Misshandler zu „vergeben“ gehandicapt ist, ist in der Tat ein gehandicapter Helfer. Der schädigendste Fehler, den ein Opfer von emotionaler Misshandlung machen kann, ist, in die „Rehabilitierung“ des Misshandlers zu investieren. Zu oft wird dies nur zu einem weiteren Wunsch, der nicht wahr wird – und emotional misshandelte Kinder werden folgern, dass sie kein besseres Ergebnis verdienen.
Die Schäden von emotionaler Misshandlung können nicht an sichtbaren Narben gemessen werden, aber jedes Opfer verliert einen Prozentsatz seiner Leistungsfähigkeit. Und diese Leistungsfähigkeit bleibt so lange verloren, wie das Opfer in dem Kreislauf von „Verstehen“ und „Vergebung“ feststeckt. Der Misshandler hat kein „Recht“ auf Vergebung – solche Wohltaten können nur verdient werden. Und obwohl der Schaden mit Worten angerichtet wurde, kann echte Vergebung nur mit Taten verdient werden.
Für jene mit einem idealisierten Begriff von „Familie“ ist die Aufgabe sogar noch schwieriger, es zurückzuweisen, die Schuld für die eigene Opferung zu akzeptieren. Für solche Sucher ist der Schlüssel zur Freiheit immer die Wahrheit – die wirkliche Wahrheit, nicht die verzerrte, eigennützige Version, die die Misshandler andienen.
Emotionale Misshandlung droht eine nationale Krankheit zu werden. Die Popularität gehässiger, niedrig gesinnter, persönlich angreifender Grausamkeit, die als „Unterhaltung“ durchgeht, ist nur ein Beispiel. Wenn die Gesellschaft inmitten einer moralischen und geistigen Erosion ist, wird eine „Familie“, die auf der emotionalen Misshandlung ihrer Kinder gegründet ist, nicht die Stellung halten. Und es zeigen sich keine unmittelbaren Anzeichen, dass das Blatt sich wendet.
Die wirksame Behandlung von emotionalem Misshandlern hängt von der Motivation für das ursprüngliche Verhalten ab, der Einsicht in die Wurzeln solchen Verhaltens und dem aufrichtigen Verlangen, dieses Verhalten zu ändern. Für einige Misshandler ist, zu sehen, was sie ihrem Kind antun – oder, noch besser, zu fühlen, was sie ihr Kind zu fühlen zwangen – genug, sie Halt machen zu lassen. Andere Misshandler brauchen Hilfe durch Strategien, mit ihrem eigenen Stress umzugehen, sodass er sich nicht auf ihre Kinder entlädt.
Doch für einige emotionale Misshandler ist Rehabilitierung nicht möglich. Für solche Menschen ist Manipulation eine Lebensweise. Sie errichten ein „Familien“-System, in dem es dem Kind niemals gelingen kann, die Liebe des Elternteils zu „verdienen“. In solchen Situationen ist jede Betonung auf die „Heilung der ganzen Familie“ zum Scheitern verurteilt.
Wenn du ein Opfer von emotionaler Misshandlung bist, kann es keine Selbst-Hilfe geben, bis du Selbst-Bezüglichkeit lernst. Das bedeutet, deine eigenen Maßstäbe zu entwickeln, für dich selbst zu entscheiden, was „Güte“ wirklich ist. Die kalkulierten Bezeichnungen des Misshandlers zu übernehmen – „Du bist verrückt. Du bist undankbar. Es ist nicht so passiert, wie du sagst“ -, setzt nur den Kreislauf fort.
Erwachsene Überlebende von emotionaler Kindesmisshandlung haben nur zwei Wahlmöglichkeiten im Leben: lernen, sich auf sich selbst zu beziehen, oder ein Opfer bleiben. Wenn dein Selbstbild zerfetzt wurde, wenn du tief verletzt wurdest, und man dir das Gefühl gab, die Verletzung wäre nur deine Schuld, wenn du nach Anerkennung bei jenen suchst, die sie nicht verschaffen können oder wollen, spielst du die Rolle, die dir von deinem Misshandler zugewiesen wurde.
Es ist Zeit, aufzuhören, diese Rolle zu spielen, Zeit, dein eigenes Manuskript zu schreiben. Opfer von emotionaler Misshandlung tragen das Heilmittel selbst in ihren Herzen und Seelen. Rettung heißt Selbst-Respekt lernen, den Respekt anderer verdienen, und diesen Respekt zu dem absolut unreduzierbaren erforderlichen Minimum für alle intimen Beziehungen zu machen. Für das emotional misshandelte Kind ergibt sich aus Heilung „Vergebung“ – Vergebung für dich selbst.
Wie du dir vergibst, ist so individuell wie du es bist. Aber das Wissen, dass du es verdienst, geliebt und respektiert zu werden, und dich selbst zu ermutigen mit der festen Absicht, es zu versuchen, ist mehr als die Hälfte des Kampfes. Viel mehr.
Und es ist niemals zu früh – oder zu spät – um anzufangen.

Quelle: Parade Magazine vom 28. August 1994

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Journalistisches...

Quo vadis Bildung?

Seit Jahr und Tag werden uns die „Bildungsrepublik Deutschland“ und „Vorrang für Bildung“ versprochen. Geschehen ist in all der Zeit nicht wirklich viel. Wird sich dies nun ändern – mit und dank der Großen Koalition? Jens Wernicke sprach mit Ulrich Thöne, ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Weiterlesen: http://www.nachdenkseiten.de/?p=19629

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Fremdes...

Charlie Chaplins Rede an die Menschheit

Aus: Der große Diktator

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Fremdes...

Zwei Samenkörner

Es steckten einmal zwei Samenkörner nebeneinander im Boden.

Das erste Samenkorn sprach: “Ich will wachsen! Ich will meine Wurzeln ganz tief in die Erde senden und ich will als kleines, starkes Pflänzchen die Erdkruste durchbrechen, um dann kräftig zu wachsen. Ich will meine Blätter in ihrer ganzen Pracht entfalten und mit ihnen die Ankunft des Frühlings feiern. Ich will die Sonne spüren, mich von Wind hin- und herwehen lassen und den frischen Morgentau auf mir spüren. Ich will wachsen! – Ich will wachsen!”

Und so erreichte das Samenkorn nach einiger Zeit sein Ziel und wurde eine kräftige, prächtige Pflanze.

Samen

Das zweite Samenkorn aber sprach: “Ich fürchte mich. Wenn ich meine Wurzeln in den Boden sende, weiß ich nicht, was mich dort in der Tiefe erwartet. Ich befürchte, dass es mir wehtut oder dass mein Stamm Schaden nehmen könnte, wenn ich versuche, die Erdkruste zu durchbrechen. Ich weiß auch nicht, was dann dort oben über der Erde auf mich lauert. Es kann ja so viel geschehen, während ich wachse. Nein, nein – ich bleibe lieber hier in Sicherheit und warte, bis es noch sicherer ist.”

Und so verblieb das zweite Samenkorn in der Erde und wartete.

Eines Morgens kam eine Henne des Weges. Sie scharrte mit ihren scharfen Krallen nach etwas Essbaren im Boden. Nach einer Weile fand sie den wartenden Samen im Boden und fraß ihn auf.

(nach Jack Canfield)

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Journalistisches...

„PISA gefährdet unser Bildungssystem“

Morgen wird die neue PISA-Studie vorgestellt. Doch was da gemessen, quantifiziert und zu Länder-Rankings verarbeitet wird, hat mit wahren Bildungszielen nichts zu tun, kritisiert der Bildungsforscher Volker Ladenthin im WirtschaftsWoche-Interview mit Jens Wernicke.

Weiterlesen: http://www.wiwo.de/erfolg/campus-mba/bildungsforscher-volker-ladenthin-pisa-gefaehrdet-unser-bildungssystem-seite-all/9149594-all.html

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