Fremdes..., Seelisches...

Hass als Schlüssel zur Liebe

Die frühe Erfahrung von sexuellem Übergriff und Gewalt hat massive und typische Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung. Um zu überleben, um Nähe und Zugehörigkeit nicht zu gefährden, müssen die Betroffenen Gefühle von Hass, Mordgedanken, ja schon die Erinnerung an das Trauma verdrängen. Dadurch ist jedoch zwangsläufig die Identität und die autonome Selbst- und Fremd-Wahrnehmung – Voraussetzung für eine autonome Orientierung – entscheidend beeinträchtigt. Sie befinden sich – hinter einer brüchigen Fassade – in einem Teufelskreis von Hass und Schuldgefühlen, mörderischer Wut und Selbstzerstörung. Ihre Verschmelzung mit dem Täter – „Identifikation mit dem Aggressor“ nach Anna Freud – hält sie in der Täter-Opfer-Dynamik fest, sie kommen immer wieder in die Opfer- oder Täterrolle. Dies ist die entscheidende Ursache schwerer psychischer Störungen wie Borderline-Syndrom und Psychose, aber auch schwerer Soziopathien.

Das „prozeßorientierte“ Familienstellen scheint gut geeignet, dem Klienten – und dem Therapeuten – die vorliegende Dynamik sichtbar und bewußt zu machen und Lösungsstrategien aufzuzeigen.
Dabei scheinen mir zwei Aspekte wesentlich:

  • Die Berücksichtigung und Auflösung der Verschmelzungsdynamik ermöglicht nach meiner Erfahrung eine rasche und nachhaltige Entlastung des Klienten.
  • Hass und Mordgedanken, meist verdrängt, erweisen sich als „Ariadnefaden“ durch das Labyrinth hin zum traumatischen Erleben.

Wenn sie als sinnvolle und legitime Reaktion auf Trauma anerkannt und als „kostbares“ Relikt der beschädigten Autonomie wertgeschätzt werden, unterstützt das den Klienten bei der Reintegration seiner abgespaltenen Gefühle, Impulse und Erinnerungen, verhilft ihm wieder zu einer autonomen Selbstorganisation und Orientierung.

Weiterlesen: https://www.e-r-langlotz.de/hass-als-schluessel-zur-liebe-trauma-autonomieverlust-und-symbiosetendenzen/

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Ein Gedanke zu “Hass als Schlüssel zur Liebe

  1. Thomas schreibt:

    Lieber Jens Wernicke,

    ich kann Ihnen nicht genug danken für Ihre Veröffentlichungen. Ihr Text Sehnsucht nach Leben hat mir vor ca. vier Jahren begreiflich gemacht, was mit mir, der in keine klassische psychopathologiche Kategorie passt, los ist. Nur war mir aus völlig bildungefernen Kreisen kommend nicht klar, was der Cocktail aus Armut, Scham, Krankheit, fehlender Bindung und transgenerationaler Traumaweitergabe bewirken können. Irgendwann muss es dch auch für mich Normalität geben?! Biografisch haben wir auch sonst viel gemein, bei mir scheint die bei Ihnen Anfang vierzig deutlich zu Tage tretende Symptomatik wesentlich ausgeprägter (gewesen) zu sein. Verständnis für die eigene Erkrankung hilft in einer Welt voller Unverständnis und Unwissenheit in Bezug auf psychische Erkrankungen die ersten Schritte zu machen. Alice Miller, Bessel v.d. Kolk und nun Peete Walker sind meine Schritte auf dem Weg der Erkenntnis. Wie sie hab eich lange „die Welt gerettet“ und mich dabei ausgeblendet. Moralinüberladen sublimierte ich meine unbewusste aus Verletzungen resultierende Aggression, war Umweltschützer, Sozialarbeiter, Veganer, Gerechtigkeitskämpfer und Buddhist. Surrogatidentitäten nenne ich diese Rollen inzwischen. Für die „Liebe“ der abweisenden Mutter und des abwesenden Vaters war ich in der Jugend in alle möglichen Rollen geschlüpft, bis sie mir scheinbar zur eigenen Persönlichkeit wurden. Ärger über die Eltern führte zu Verlustängsten. Heute kann ich den emotionalen Missbrauch verstehen und Wut empfinden-um den Preis des Kontaktabbruchs durch die Eltern. Wut und Hass ob all der Verletzungen zuzulassen sind heftige Erfahrungen, die Wucht ist fast nicht auszuhalten. Wie im Text oben beschrieben, sind sie nur deutliche Symptome eines Traum(A)lebens, die die Tiefe der Verletzungen deutlich machen.

    Ich bin gespannt, wie lang und schwer der Weg der Selbstheilung noch sein wird. Ich habe schon gelernt, dass ich erst mich selbst retten muss, bevor ich wieder andere oder gleich die Welt rette. Selbstfürsorge ist momentan das wichtigste, Akzeptanz dessen, was ist, Hoffnung, dass das, was ohne Traumata hätte in meinem Leben sein können, doch noch wächst. Bis dahin verpacke ich das, was unweigerlich kommt, in Texte, Lyrik. Alles Gute für Sie auf ihrem weiteren Genesungsweg auf der anderen Seite der Welt!

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